Review

Genre-Mix

Es wird wieder einmal Zeit für eine gehörige Portion Genrekost. „Hunter Hunter“ von Drehbuchautor und Regisseur Shawn Linden ist freilich das, was man einen Festival-Liebling nennt. Hierzulande war der Genre-Mix im Rahmen des Fantasy Filmfest 2021 zu sehen und erscheint nunmehr über Koch Films auch für das Heimkino.

In den einschlägigen Berichterstattungen und Inhaltsbeschreibungen ist überwiegend von einem Thriller bzw. einem Survival-Thriller oder auch einem Horrorfilm die Rede. Welche dieser Einordnungen am ehesten zutrifft, verraten wir im Folgenden.

Plot

Joseph lebt mit Frau und Tochter tief in den nordamerikanischen Wäldern. Fernab der Zivilisation bestreitet die Familie ihren Lebensunterhalt als Fallensteller und Pelztier-Jäger. Als Joseph sich auf die Suche nach einem besonders gefürchteten Wolf begibt, lässt er die Frauen allein in der Hütte zurück. Das Warten auf seine Rückkehr wird für die beiden zur Tortur, denn schon bald bricht der Funkkontakt ab und Joseph bleibt im Wald verschwunden. Doch als ein schwerverletzter Fremder vor der Tür liegt, überschlagen sich die Ereignisse und münden in einem blutigen Finale jenseits jeglicher Vorstellungskraft

(Quelle: Koch Films)

Von der Zivilisation abgeschnitten

Das Setting sowie die Zugehörigkeit zu den großen Genre-Festivals wecken zunächst einmal Assoziationen zum „The Cabin in the Woods“-Genre, dem auch Filme wie „Tanz der Teufel“ zuzuordnen sind. Allein die einsame und von der Zivilisation abgeschnittene Hütte der Familie Mersault ruft diesen Eindruck hervor. Doch der Schein trügt. Die Atmosphäre sowie Stil und Ton der Inszenierung erinnern vielmehr an beschauliche Vertreter des Genres wie beispielsweise „It comes at night“.

„Hunter Hunter“ ist zu Beginn und für eine nicht unerhebliche Dauer am ehesten ein Sozial- und Familiendrama.

Joseph (Devon Sawa) und Anne Mersault (Camille Sullivan) leben gemeinsam mit ihrer Tochter Renee (Summer H. Howell) als Fallensteller und Pelztier-Jäger mitten in der Wildnis eines archaisch anmutenden Gehölzes.
Archaisch und tradiert wirkt auf den ersten Blick auch die Rollenverteilung der Mersaults. Während der bärbeißige und stoische Joseph den Lebensunterhalt verdient, auf die Pirsch geht und sich – gelinde gesagt – als Jäger und Sammler ohne Schulbildung verdingt, kümmert sich die selbstbewusste Anne um den Haushalt und die Besorgungen in der angrenzenden Kleinstadt. Das klassische Rollenbild der Familie wird allerdings dahingehend durchbrochen, dass Joseph seiner Tochter alles beibringt, was er über sein „Handwerk“ weiß. Das fängt beim Auslegen der passenden Köder an, geht über Lehrstunden in Sachen tierischen Verhaltens, über die richtige Tarnung in der Wildnis und schließlich bis hin zum Häuten der erlegten Beute.

Das Leben der Mersaults steht allerdings an einem Scheideweg. Während Joseph sich für seine Familie kein anderes Leben, keine andere Realität und Identität vorstellen kann, hat seine Ehefrau einen nüchterneren und realistischen Blick auf die Dinge. Die Nachfrage hinsichtlich der ergatterten Pelze sinkt, der Verdienst fällt immer geringer aus und die wichtigsten Dinge zum (Über-)Leben werden knapp. Anne erwägt einen Umzug in die „Zivilisation“; Joseph ist indessen nicht bereit, dass Erbe und den Lebensstil seiner Familie hinter sich zu lassen. Hier liegt der Fokus auf freiwilligen Rollenmodellen, den sozialen Schwierigkeiten, die ein selbstbestimmtes Leben mit sich bringt, sowie dem wirtschaftlichen Druck des Kapitalismus.

Der Wolf im Schafspelz

Kurzfristig müssen diese Probleme jedoch hintanstehen, denn nicht nur der schnöde Mammon, sondern auch ein großer und bösartiger Wolf bedroht das idyllische und zurückgezogene Leben der kleinen Familie. Joseph beschließt, das Untier allein zu jagen und nicht zu ruhen, bis seine Familie wieder in Sicherheit ist. Ehegattin und Tochter lässt der Weidmann allein in der Hütte zurück. Hier ändert sich das Ganze dann deutlich mehr zu einer Art Survival-Thriller – insbesondere, wenn Joseph im Wald erschreckende Entdeckungen macht.

In der Abwesenheit des Patriarchen liest Anne in der Nähe der Hütte einen schwerverletzten Fremden auf. Zu den Survival-Thriller-Elementen gesellen sich – für Freunde von filmischer Interpretation und Analyse – mehr und mehr märchenhafte Facetten hinzu. Der Genrefilm referenziert auf die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm; nach meinem Dafürhalten insbesondere „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“.

Die Abwesenheit des väterlichen Vorbilds (Devon Sawa) versetzt Renee Mersault (Summer H. Howell) in Furcht. (Copyright: Koch Films)

Nach einem sehr bedächtigen Spannungs- und Atmosphäreaufbau nimmt der Film zum Ende hin dann zunehmend Fahrt auf und gewinnt an Wuchtigkeit und Härte.

Das klingt dennoch alles nicht so recht nach einem Kennzeichnen „FSK ab 18“?

Zugegebenermaßen rechtfertigt sich dies einzig und allein durch den Schlussakkord, der es dafür dann gehörig in sich hat. Erprobte Genre-Fans und Vielseher werden davon sicherlich nicht (völlig) überrumpelt oder gar überfordert; für zartbesaitete Zuschauer:innen könnten die besonders expliziten und enthemmten Gewaltdarstellungen zum Finale jedoch einen echten Schlag in die Magengrube darstellen.

Fazit

Ein eher bedächtiger Genre-Vertreter, der ganz überwiegend nur leidlich eine Einordnung als Horrorfilm rechtfertigt.
Es ist zu befürchten, dass der Ruhm als Überraschungshit der Genre-Festivals auf den bluttriefenden Showdown zurückzuführen ist. Meines Erachtens liegen die Stärken des Films indessen eher in der aufwendigen Figurenentwicklung sowie im sorgfältigen Aufbau der Spannung und Intensität.


Hunter Hunter

Trailer

Handlung

Joseph lebt mit Frau und Tochter tief in den nordamerikanischen Wäldern. Fernab der Zivilisation bestreitet die Familie ihren Lebensunterhalt als Fallensteller und Pelztier-Jäger. Als Joseph sich auf die Suche nach einem besonders gefürchteten Wolf begibt, lässt er die Frauen allein in der Hütte zurück. Das Warten auf seine Rückkehr wird für die beiden zur Tortur, denn schon bald bricht der Funkkontakt ab und Joseph bleibt im Wald verschwunden. Doch als ein schwerverletzter Fremder vor der Tür liegt, überschlagen sich die Ereignisse und münden in einem blutigen Finale jenseits jeglicher Vorstellungskraft …

(Quelle: Koch Films)

Details

Sprache: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Ton: DTS-HD Master Audio 5.1
Bildseitenformat: 2.39:1 (16:9)
FSK: Freigegeben ab 18 Jahren
Studio: Koch Media GmbH
Erscheinungstermin: 28.04.2022
Produktionsjahr: 2020
Spieldauer: ca. 93 Minuten
Extras: Interviews mit den Schauspielern Camille Sullivan, Devon Sawa, Nick Stahl und Summer H. Howell / Trailer

Copyright Cover: Koch Media



Über den Autor

Fabian
"Du lächelst wie jemand, der keine Ahnung hat, wozu ein Lächeln überhaupt gut ist." (Das kleine, blaue, geflügelte Einhorn Happy, in: Happy!)