Review
Krankenhausserien, Historiendramen und ARD-Produktionen im Allgemeinen – eine Geißel der Menschheit? Ganz so dramatisch muss man es vielleicht nicht sehen, aber viele Vertreter dieser Genres zeichnen sich wahrlich nicht durch überragende Kreativität oder Authentizität aus. Viele Fans haben sie trotzdem. Mit „Charité“ versucht die ARD nun aus allen drei Elementen das Beste herauszuholen – erfreulicherweise mit großem Erfolg!
Im Zentrum der Serie steht die Charité, das berühmte und älteste Berliner Krankenhaus, zum Ende des 19. Jahrhunderts. 1888 wird dort die junge, mittellose Ida Lenze mit einem entzündeten Blinddarm behandelt. Eine erfolgreiche Blinddarmentfernung ist zu dieser Zeit noch eine Seltenheit. Der talentierte Arzt Emil Behring verbrachte das Wunder, in dessen Konsequenz Ida nun ihre Schulden als Hilfspflegerin abarbeiten muss. Dabei lernt sie nicht nur die Charité kennen und lieben, sondern auch die Menschen dort.
Da wäre beispielsweise die Wärterin Edith, die sich für ihre weltlichen Kolleginnen starkmachen und eine (zu diesem Zeitpunkt verbotene) Gewerkschaft gründen will. Oder der berühmte Robert Koch, der an einem Heilmittel für Tuberkulose forscht. Die Nonne Therese, die unter ihrem Gelübde leidet, der Arzt Behring, der dem Laudanum verfallen ist, und eine Vielzahl weiterer spannender Charaktere.
Die Figur der Ida wirkt dabei zugleich als roter Faden und als Kitt, der die Vielzahl der Handlungsstränge und Personen zusammenhält. Zugegeben, an wenigen Stellen wirkt die Figur dadurch etwas überkonstruiert. Es ist einfach wirklich schwer vorstellbar, dass eine Frau in dieser Zeit Kontakte einmal quer durch alle gesellschaftlichen Schichten pflegt. Ganz davon ab scheint Ida recht gern alles aus ihrem Leben mitzuteilen, auch mit ihr quasi unbekannten Personen. Nichtsdestotrotz ist sie eine tolle Protagonistin, die nicht auf ihren rettenden Prinzen wartet, sondern ihr Leben selbst in die Hand nimmt.
Allein dieses proaktive Verhalten zur Gleichbehandlung macht aus „Charité“ nicht nur eine kurzweilige Unterhaltung, sondern regt auch zur Reflexion an. Dazu schneiden die Macher immer wieder an geeigneten Stellen weitere gesellschaftliche Probleme an, die sich damals stellten und – so oder so ähnlich – auch heute noch aktuell sind. Da wäre beispielsweise die Frage nach Ressourcen in der Medizin (wer bekommt Medikamente?), Religionsfreiheit (darf das jüdische Baby notgetauft werden?) oder der Arbeitsbelastung (etwa wenn ein Arzt zur Bewältigung seines Jobs Drogen nehmen „muss“). Dennoch kommt nie der plump erhobene Zeigefinger zum Einsatz.
In ihrer Vielfalt ist diese Story absolut ausgereift – und liefert so viel mehr als durchschnittliche Arztserien (besonders wenn es sich um deutsche Produktionen handelt). Auch von der historischen Seite übrigens eine überzeugende Leistung: Zu den fiktiven Elementen der Geschichte mischen sich geschichtlich recherchierbare Fakten.
Zum wirklichen Serientipp verhilft diesem Format schließlich die hochkarätige Produktion. Ohne sich auf bekannte Gesichter zu verlassen (ganz ehrlich, Alexandra Neldel müssen wir nicht noch mal in so einer Hauptrolle sehen), überzeugen alle Schauspieler auf ihre Art. Dazu großartige Kulissen, toller Soundtrack und tolle Filmtechnik. „Charité“ kann so mit BBC-Kalibern wie „Call the Midwife“ locker mithalten.
Meinen ganzen lobenden Worten schließt sich auch der Fernseherfolg der Serie an. Kein Wunder also, dass die Macher bereits eine zweite Staffel planen. Bis dahin kann man der ersten Staffel „Charité“ schon mal eine absolute Empfehlung aussprechen!
Trailer
Handlung
Die mittellose Ida wird als Patientin an der Charité operiert und muss anschließend als Hilfswärterin unter dem bigotten Regiment der Diakonissenoberin Martha ihre Behandlungskosten abarbeiten. Dabei entdeckt sie ihre große Leidenschaft für die Medizin. In einer Zeit, in der Frauen kaum ein Recht auf höhere Bildung haben, geht sie als ungewöhnlich freier und rebellischer Geist unbeirrbar ihren Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Sie trifft dabei auf herausragende Mediziner wie Rudolf Virchow und die Forscher und späteren Nobelpreisträger Robert Koch, Emil von Behring und Paul Ehrlich, die in starker Konkurrenz zueinander Medizingeschichte schreiben.
(Quelle: Universum Film)
Details
Sprache: Deutsch (DTS-HD 5.1)
Bildseitenformat: 16:9 – 1.77:1
Anzahl Disks: 1
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Studio: Universum Film GmbH
Erscheinungstermin: 21.04.2017
Spieldauer: 301 Minuten
Copyright Cover: Universum Film GmbH