Bereits vor einigen Monaten erschien das neue Split-Album „In Two Seas“ von Mario Grönnert, das er zusammen mit der japanischen Experimentalband Mondfish veröffentlichte.
Was sich seitdem getan hat, was ihn bewegt, welches Resümee er aus der Veröffentlichung zieht und vor allem, was seine nächsten Schritte sind, das verrät uns Mario im folgenden Interview.
Emu: Hallo Mario, erst mal vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Wie läuft die musikalische Seite deines Lebens aktuell?
Mario: Hallo, ist mir eine Freude, daher habe ich zu danken. Auf dieser Seite des Lebens scheint eigentlich immer die Sonne für mich, ganz egal, wie es grade läuft. Das habe ich schon in den ersten Wochen meiner Laufbahn als Musiker realisiert. Umso besser natürlich, dass es für mich momentan tatsächlich sehr gut voran geht. Mein Ende Mai erschienenes Splitalbum mit der japanischen Ambient/ Drone Band Mondfish zieht weiter seine Kreise und erst vor wenigen Tagen habe ich einen Vertrag beim in Wien ansässigen Label Audiokult Recordings unterschrieben, der ein Kollaborationsalbum und die Option auf eine nachfolgende Solo-EP umfasst.
Emu: Mit der Split „In Two Seas“ hast du für einen kleinen Independent Künstler recht viel Staub aufgewirbelt. Zeichnest du dich zufrieden mit der Resonanz?
Mario: Das Album findet Anklang in einer für das Ambientgenre ziemlich breiten, internationalen Hörerschaft und die bisherigen Reviews waren durchweg positiv. Besonders hat mich gefreut, dass ich durch die Jungs von Mondfish auch ein kleines Publikum in Japan erreichen konnte. Ein Fakt, der ohne das Split nur schwer zu realisieren gewesen wäre. Das Erreichen dieses Ziels stellt für mich sogar so etwas wie die Erfüllung eines lang gehegten, persönlichen Traums dar. Kurzum, ich bin sehr zufrieden.
Emu: Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Mondfisch?
Je weiter die räumliche Distanz desto faszinierender erschien mir das Unterfangen
Mario: Da mein musikalisches Outlet genrebedingt fast ausschließlich über das Internet stattfindet, habe ich bereits vor einigen Jahren den Entschluss gefasst, mich auf die Suche nach Mitstreitern für eine bzw. mehrere internationale Zusammenarbeiten zu machen. Je weiter die räumliche Distanz desto faszinierender erschien mir das Unterfangen. Da ich, bedingt durch die sozialen Medien und Musikseiten im Netz, von der in Japan sehr vitalen Ambientszene wusste und mich das Land als solches schon seit vielen Jahren fasziniert, sei es nun in Sachen Film, Musik oder Historie, war die Wahl recht einfach für mich.
Nachdem ich mich Anfang dieses Jahres auf die verhältnismäßig kurze Suche gemacht hatte, stolperte ich quasi über die Soundcloudseite von Mondfish und war fast entsetzt, dass eine Band mit solchen musikalischen Qualitäten kaum Beachtung fand. Die daraufhin von mir an die Jungs gesandte Anfrage bezüglich eines gemeinsamen Release fand umgehend Anklang. Damit war die Sache auf den Weg gebracht.
Emu: Kannst du uns was zum Entstehungsprozess der Platte sagen?
Mario: Als bekennender Brian Eno Fan habe ich mich in den letzten Jahren immer wieder über längere Zeiträume mit dem Plan der Realisierung einer Hommage an diesen Meister der modernen Ambientmusik befasst. Einerseits wollte ich den tiefgreifenden Einfluss und die schier endlose Inspiration, die dieser Künstler schon seitdem ich seine Musik das erste Mal gehört habe auf mich ausübt, in ein extra dafür konzipiertes Albumprojekt fließen lassen, andererseits wollte ich nicht auch nur annähernd in die Gefahr geraten, ein Eno Album inhaltlich, schematisch oder hinsichtlich der Präsentation zu kopieren. Daher bin ich vor geraumer Zeit zu dem Schluss gelangt, das Ganze im Sinne der Originalität lieber als Splitalbumprojekt anzugehen.
Anfangs suchte ich noch nach Mitstreitern, denen ich dieses Konzept im Detail erläuterte, bemerkte aber schnell, dass eine Maßgabe dieser Art, die auf mich anspornend und fast befreiend wirkte, auf andere Musiker wahrscheinlich als eine Art kreatives Korsett wirken muss. Deshalb entschied ich mich später nach Bands mit infrage kommender Musik und Stil als solchem zu suchen und wurde schließlich bei Mondfish fündig, ohne dass ich irgendetwas von meinem ursprünglichen Konzept hätte erläutern müssen.

Kaetsu Takhashi (Copyright: Mondfish)
Mondfish haben ihren Teil dementsprechend komplett unabhängig von mir und meinem Beitrag gestaltet. Damit sind nicht nur zwei unterschiedliche Produktionsweisen, Instrumentierungen und Schreibstile auf einem Album zusammengekommen, sondern zwei Sichtweisen auf Ambientmusik selbst, geprägt durch unsere geografischen Standpunkte und die eigenen kulturellen Identitäten. Das wurde mit der Zeit mehr und mehr zum zentralen Punkt des Albums und hat sich letztlich auch im gewählten Albumnamen und im von Christian Herzer von GuulArts gestalteten Albumcover niedergeschlagen.
Abschließend wurde das gesamte Album von Vincent Villuis vom Ultimae Studio in Lyon, Frankreich gemastert. Demselben Master, mit dem ich bereits bei meinem zweiten Solo-Album zusammengearbeitet habe.
Emu: Gibt es Punkte, mit denen du im Nachhinein unzufrieden bist?
Die technische und organisatorische Seite ist kein echtes Hindernis mehr, problematischer wird das Ganze allerdings, wenn es um Finanzierung und Promotion geht.
Mario: Die Produktion ist seit beinahe einem halben Jahr beendet und ich bin nach wie vor glücklich mit dem Ergebnis. Auch wenn es im Independent/ Underground Bereich sicherlich das eine oder andere interessierte Label gegeben hätte, haben Mondfish und ich damals entschieden, das Ganze als Selfrelease zu handhaben. Das brachte zwar ein maximales Maß an Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit und Spontanität mit sich, gestaltete und gestaltet jedoch vieles arbeitsaufwendiger und schwieriger als ursprünglich angenommen. Man hat heute im Internet zwar alle notwendigen Möglichkeiten und eine Vielzahl an sehr hilfreichen Dienstleistern wie Bandcamp, CD Baby und viele, für unabhängige Musiker mehr oder weniger einfach zugängliche Distributoren, aber damit ist ein solches Vorhaben natürlich noch nicht erledigt.
Die technische und organisatorische Seite ist kein echtes Hindernis mehr, problematischer wird das Ganze allerdings, wenn es um Finanzierung und Promotion geht. Mondfish und ich als Solokünstler bewegen uns zwar im absoluten Underground Bereich, nichtsdestotrotz entstehen auch uns relativ hohe Kosten für Produktion und Veröffentlichung, die wir in diesem Fall vollständig selbst vorfinanziert haben. Um diese Ausgaben anschließend wieder reinholen zu können, müssen wir erst mal einige Alben verkaufen, da kommt dann, für uns Genremusiker mit kleinerem Publikum, die Promotion sehr stark zum Tragen. Problematisch ist hierbei, dass fast alle sozialen Netzwerke und Musikseiten die Möglichkeiten zur freien, eigenständigen Werbung entweder komplett abgeschafft und gegen kostenpflichtige Systeme ersetzt oder zumindest auf ein absolutes Minimum begrenzt haben.
Das erschwert den Albumabsatz und das Wiedereinspielen der Produktionskosten zusätzlich. Denn es kauft natürlich niemand ein Album, von dessen Existenz der oder die potenzielle HörerIn nichts weiß.
Emu: Wird es weitere Kollaborationen mit Mondfisch geben?
Mario: In einer meiner ersten Mails an Mondfish erwähnte ich bereits neben dem geplanten Split mein Interesse an weiteren Zusammenarbeiten und an einer Kollaboration im Sinne von A bis Z gemeinsam geschriebener und produzierter Stücke. Abgeleitet aus der damaligen Antwort an mich, möchte ich meinen, dass absolut alles möglich ist. Nachdem die Jungs ihr erstes eigenes Album herausgebracht haben, und sobald ich wieder ausreichend Zeit und Ideen zur Verfügung haben werde, steht einer weiteren Zusammenarbeit, auf welche Weise auch immer sie gestaltet werden wird, aus meiner Sicht nichts im Weg.
Emu: „In Two Seas“ ist deine bisher dritte Veröffentlichung. Würdest du dir selbst einen gewissen Entwicklungsprozess attestieren? Findest du, du hast dich verändert?

Das aktuelle Album „In Two Seas“
Mario: Absolut. Wenn ich alle meine bisherigen Veröffentlichungen vergleiche, hat sich von Album zu Album eine Weiterentwicklung vollzogen, bedingt durch die Verfügbarkeit neuer Instrumente, die wachsende Fähigkeit, diese Instrumente besser zu verstehen und demzufolge nutzen und bespielen zu können, einem sich stetig erweiterndem Wissen über technische Zusammenhänge im Produktionsprozess, aber auch durch die jeweils neu dazugekommenen Einflüsse und Quellen der Inspiration.
Die Musik ist für mich seit Beginn an an meine persönlichen Erlebnisse, Vorstellungen und Erinnerungen geknüpft. All diese Faktoren unterliegen permanenter Veränderung. In diesem Sinne ist Musik und Kunst im Allgemeinen für mich nichts anderes, als ein endloser, sich stetig verändernder Prozess. Das ist in meinen Augen die Essenz jeder kreativen Entwicklung.
Der Tag, an dem ich das Gefühl haben sollte, im Bereich Ambientmusik – oder sogar in Sachen Musik überhaupt – nichts Neues mehr sagen zu können, wäre der Tag, an dem ich mich anderen kreativen Tätigkeiten zuwenden würde. Glücklicherweise hatte ich dieses Gefühl noch nicht einmal annähernd und kann mir heute auch nur sehr schwer vorstellen, dass es mir wirklich mal so ergehen wird.
Emu: Wie kann man sich deine Arbeitsweise beim Entwickeln der musikalischen Werke vorstellen? Arbeitest du von zuhause aus?
Mario: Ja, meine Musik entsteht hauptsächlich in meinem kleinen, aber solide ausgestatteten Homestudio, in dem ich beinahe täglich zugange bin. Wenn die beschriebene Inspiration in konkrete Ideen mündet, mache ich mich daran, die passende Instrumentierung zusammenzustellen. In den meisten Fällen sind das bei mir Synthesizer verschiedenster Art. Angefangen bei realistischen, klassischen Sounds von Piano- oder Violinen- bzw. Cellosynthesizern, die ich gerne zum Einspielen und Arrangieren von ersten Probeaufnahmen und Demos verwende, bis hin zu in der Regel später dazukommenden, effektlastigen Flächensynthesizern und Pads sowie abstrakteren elektronischen Elementen mit hohen Noise und Drone Anteilen. Gelegentlich kommen auch meine Gitarren und Bässe zum Einsatz, allerdings sind das bisher Ausnahmen geblieben.
Damit entsteht eine stetig anwachsende Datenbank diverser Geräusche aus Natur, Stadt, Technik und Industrie, auf die ich jederzeit zurückgreifen kann.
Wenn der musikalische Inhalt und die Struktur eines Stückes stehen, beginne ich den Hintergrund und die Details einzufügen. Da kommt oftmals Sampling von Feldaufnahmen zum Einsatz, die ich, seitdem ich die dazu nötige mobile Ausrüstung besitze, selbst erstelle. Damit entsteht eine stetig anwachsende Datenbank diverser Geräusche aus Natur, Stadt, Technik und Industrie, auf die ich jederzeit zurückgreifen kann.
Die anschließend ausgewählten Aufnahmen werden dann mithilfe verschiedener Effekte und Manipulationen bearbeitet und verändert, bis sie die nötige Stimmung im Stück erzeugen und einen Track nicht selten erst damit abrunden. Sobald der inhaltliche Teil abgeschlossen ist, geht es an das Erstellen des finalen Mixes. Was den letzten Schritt, das Mastering, betrifft, verlasse ich mich, nach einigen eigenen Erfahrungen heute lieber auf die Unterstützung von sehr gut ausgestatteten Toningenieuren, die im Vergleich zu mir über das eine oder andere zusätzliche Jahrzehnt an Erfahrung in der Musikproduktion verfügen.
Zudem hören 4 Ohren ja bekanntlich mehr als 2. Wo manch anderer Ambientmusiker darauf schwört, alles alleine zu bewältigen, habe ich heute kein Problem mehr damit, die Sichtweisen anderer zu schätzen und akzeptieren zu können, wenigstens soweit sie nicht den Inhalt meiner Musik betreffen.
Emu: Was stellt für dich die Herausforderung beim Schreiben dar, was willst du ausdrücken?
Mario: Mein Ziel ist die im Spannungsfeld von Emotionen und musikalischem Minimalismus entstehende Atmosphäre. Das Erreichen genau dieses Gebietes ist für mich die andauernde Herausforderung des Musikmachens und vielleicht sogar der Kern von Ambient überhaupt. Der Ausdruck an sich findet in diesem Genre nicht vorrangig in einem beliebigen Stück, sondern vor allem im Kopf des jeweiligen Hörers statt.
Der Ausdruck an sich findet in diesem Genre nicht vorrangig in einem beliebigen Stück, sondern vor allem im Kopf des jeweiligen Hörers statt.
Die Atmosphäre schafft eher die nötige räumliche Grundlage für konkrete Geschichten, als die Geschichten selbst zu erzählen. Der Hörer muss die geschaffenen Räume individuell ausfüllen. Spirituell veranlagte Menschen könnten vielleicht von etwas wie meditativen Zuständen sprechen.
In nicht spiritueller Hinsicht wäre der Vergleich mit Soundtracks für Filme oder Videospiele möglich. Der Soundtrack bietet ebenfalls die Basis, für die zu erlebenden Handlungen bzw. Geschichten. Mich fasziniert und beschäftigt in diesem Zusammenhang seit Jahren das Prinzip der Dekonstruktion von Musik. Wie viel oder besser gesagt wie wenig nötig ist, um die grundlegende Atmosphäre, die ich für meine vervollständigte Vision eines Stückes als Musiker benötige, auf den Hörer zu übertragen.
Ich bin selbstverständlich nicht der Erste, der sich mit diesem Vorhaben beschäftigt, aber die verschiedenen, bestehenden Theorien zum Thema haben mich immer gereizt, eigene Sichtweisen und Stücke beizutragen. Die Arbeitsweisen des Experimentierens und Improvisierens können dabei übrigens genauso hilfreich sein, wie das detaillierteste Konzept und die beste Vorbereitung.
Emu: Gibt es noch Musik, die dich beim Schreiben inspiriert, oder hast du gar Vorbilder?
Mario: Es gibt eine ganze Reihe von Vorbildern und Inspirationen, die mich zum Teil schon seit vielen Jahren begleiten und trotzdem noch in einer Intensität auf mich wirken, wie es am ersten Tag der Fall war. Neben dem bereits Genannten ist das vor allem Akira Yamaoka, dessen düster, abstrakte Soundtrackmusik für die Silent Hill Videospielreihe sehr prägend auf mich gewirkt hat. Des Weiteren möchte ich da Michael Stearns, Clint Mansell, Ólafur Arnalds, Carter Burwell, Vangelis, Caroline K, Hildegard Westerkamp, Rhys Chatham, John Cage und Max Richter nennen.
Meine jüngsten Einflüsse sind der sowjetische Synthesizer-Pionier Eduard Artemjew, der den meisten Interessierten durch seine Soundtracks für die Filme von Andrej Tarkowski bekannt sein wird, der argentinische Musiker Gustavo Santaolalla sowie die deutschen Bands Tangerine Dream und Popol Vuh, die ebenfalls vorrangig in Sachen Filmmusik aktiv waren. Ich kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass weitere folgen werden.
Emu: Arbeitest du gerade an nennenswerten Projekten?

Mario Grönnert (Copyright. Mario Grönnert)
Mario: Im Moment arbeite ich parallel an drei konkreten Projekten. Allem voran am ersten von mehreren geplanten Kollaborationsalben eines gesamten Zyklus, den ich in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Musiker Mason Metcalf, besser bekannt als CommonSen5e, realisiere. Noch in diesem Herbst erscheint „Nightmares and Dreamscapes: Silhouettes of Urbia“ als Beginn der gemeinsamen musikalischen Reise. Zusätzlich führe ich die mit einigen Unterbrechungen seit ca. 2 Jahren andauernden Arbeiten an meinem dritten Solo-Album fort und arbeite daneben an einem Kollaborationsalbum mit dem deutschen Musiker und Labelbetreiber Martin Hiller aus Greifswald.
Ich hoffe, dass dieses seit Langem gehegte Vorhaben im Jahr 2016 für die Veröffentlichung reif sein wird. Abseits dessen wäre es möglich, dass ich mich in naher Zukunft, wie schon zu Beginn meiner Musikerlaufbahn, als Teil einer Band engagieren werde. Ein Wunsch, den ich seit geraumer Zeit wieder hege.
Zum Abschluss die 10 Keywords. Wir schmeißen dir Wörter an den Kopf und du gibst kurz wider, was dir dazu einfällt:
Musik
Lebensinhalt
Unkostendeckung
Grundvoraussetzung für weitere Alben
Independent
Fluch und Segen
Montagmorgen
Das Studio wartet…
Social Media
Weniger sozial, als das Medium vermuten lässt.
Bandcamp
Kapitalismus und Kunst geben sich die Hand
Piano
Synthesizer
Political Correctness
More like Philosophical Correctness
Flucht
Fantasie
Entfaltung
Erfüllung
Wir bedanken uns für das Interview!