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Interviews

7. April 2016

Interview: Amoral

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Verfasst von: Tim
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Im Februar dieses Jahres erschien mit „In Sequence“ das siebte Album der finnischen Band Amoral.
Mit jenem konnten sie sowohl ihre Fans als auch die Presse überzeugen. Positive Kritik war das Ergebnis. Doch was steckt hinter dem Album? Welche Intentionen verfolgen Amoral darauf inhaltlich und musikalisch? Und was gibt es über die Finnen darüber hinaus zu erfahren?

Fragen, die wir zum Anlass nahmen, Ben Varon, den Gitarristen der Band, zum Gespräch zu bitten.
Was er zu berichten hat, lest ihr in diesem Interview.

Tim: Hallo Ben! Mit „In Sequence“ hast du mit Amoral gerade ein erstes Highlight für das noch junge Jahr geliefert. Ich nehme an, du bist zufrieden mit den Reaktionen?

Ben: Ja, absolut! Wenn du so lange und hart an einem Album gearbeitet hast, macht es natürlich Freude, die vielen Reviews mit 9/10 oder sogar 10/10 Punkten zu lesen.
Vor allem freut mich aber, dass die Leute sich auf ein Album einlassen können, in das man sich erst mal reinhören muss.

Tim: Das stimmt sicherlich, denn auf „In Sequence“ habt ihr euch für eine „Mehr ist mehr“ Strategie entschieden, mit drei Gitarristen, zwei Sängern und jeder Menge netter kleiner Gimmicks in den Songs, die beim ersten Durchhören gar nicht unbedingt auffallen. Habt ihr das von vornherein so geplant oder ist es einfach während des Songwritings passiert?

Ben Varon

Ben Varon

Ben: Wir hatten schon sehr früh die Idee, viele Instrumente zu verwenden und auch mit Gastmusikern zu arbeiten.
Percussions waren so eine Sache, die ich intensiv bei den neuen Songs einsetzen wollte. Und als dann Niko Kalliojärvi (Sänger, Anm. d. R.) wieder zur Band dazu kam, habe ich beim Schreiben der Songs dann natürlich immer darauf geachtet, wo seine Stimme am besten passt oder wo Ari singen soll, oder auch an welchen Stellen Masi Keyboard anstatt Gitarre spielen sollte und so weiter. Es war sehr inspirierend, all diese „Werkzeuge“ zur Verfügung zu haben, um den Songs ein Gesicht zu verleihen. Auch wenn ich meine Bandkollegen natürlich nicht als „Werkzeuge“ bezeichnen sollte.

Tim: Ja, das kann ich mir vorstellen! Was war denn der größere Aufwand für dich? Den simplen Songs mehr Ideen und Elemente hinzuzufügen oder den überfrachteten Songs wieder Elemente wegzunehmen?

Ben: Keines von beiden ist ein Aufwand! Mehr Elemente kommen ganz natürlich und es macht Spaß, diese in die Songs einzubringen. Und das Wegnehmen ist ja nur ein Mausklick.
Das Schreiben und Arrangieren der Grundideen der Songs ist eigentlich der schwierigste Part: Hochwertige Melodien schreiben, Riffs, Songtexte und Arrangements.
Diese Songs später dann mit weiteren Ideen zu färben, ist eigentlich eher eine Belohnung!

Tim: Gibt es denn eine bestimmte Sache, die deiner Meinung nach wirklich besser ist als auf den früheren Amoral Alben?

Dieses neue Album enthält definitiv einige meiner Lieblingssongs von Amoral.

Ben: Naja, ich denke, wir sind in allen Bereichen gewachsen: Als Songwriter, Musiker und Produzenten.
Dieses neue Album enthält definitiv einige meiner Lieblingssongs von Amoral.

Tim: Dann lass uns doch mal ein bisschen über das Albumkonzept reden. Du erzählst eine Geschichte über einen Jungen mit einer Gitarre, der in einer Psychiatrie Selbstmord begangen hat. War dies der komplette Input für die Story?

Ben: Was ich hatte, war ein zweiminütiges Gespräch mit einem Freund meiner Familie, den ich vor ein paar Jahren auf der Straße traf. Er arbeitete als Hausmeister in einer psychiatrischen Klinik und erzählte mir über einen Vorfall.
Die Fakten, die ich hatte: Es war ein junger Patient in der Klinik, der sich den ganzen Tag in seinem Zimmer einschloss und Gitarre spielte. Sein Spielen konnte man durch das Fenster hören und es muss großen Spaß gemacht haben, ihm zuzuhören. Eines Tages, wie aus dem Nichts, entschied er, sich das Leben zu nehmen.

Tim: Ich muss gestehen, dass ich die Idee liebe, ein komplettes Album um so eine geringe Informationsfülle aufzubauen. Wie haben sich denn die Ideen über Motive und Ursachen dieser Geschichte in dir entwickelt? Hattest du eine Vorlage dafür? Ich musste bei der Herangehensweise an das Marillion-Album „Brave“ aus den 90ern denken, die damals einen ähnlichen Ansatz verfolgt haben.

Ben: Irgendetwas an der Story hatte mich gepackt und so spukte sie mir für Jahre im Kopf herum. An einem Punkt kam mir die Idee, darüber zu schreiben.

Cover der CD "In Sequence"

Cover der CD „In Sequence“

Es fing zunächst an mit Fragen über die Person. „Warum?“ war natürlich die Hauptfrage. Ich versuchte mich in seine Lage zu versetzen, das Leben durch seine Augen zu sehen und so zu erfassen, was er durchmachte. Natürlich ist das alles nur Fiktion, denn ich kannte den Jungen ja überhaupt nicht. Aber es fiel mir sehr leicht, Dinge aufzuzählen, die einen sensiblen und jungen Künstler an den Rand der Verzweiflung bringen können.

Dann wollte ich als nächstes eine ganze Welt um die Geschichte erfinden mit einer bestimmten Umgebung, Personen in seinem Leben und so weiter. Der Song „Sounds Of Home“ zum Beispiel ist aus der Perspektive des Vaters geschrieben, der seinen Sohn für Jahre nicht gesehen hat und keine Ahnung hat, wo er sich befindet oder was mit ihm geschehen ist.

Darüber hinaus wollte ich aber noch eine weitere Ebene zu der Story hinzufügen und entschied mich, dass Synchronizität (Ereignisse, die nicht in einer Kausalbeziehung zueinander stehen, aber trotzdem miteinander verbunden erscheinen, siehe Wikipedia, Anm. d. Red.) ein großes Thema sein soll. Es hat mich damals sehr interessiert und ich dachte, es passt zu der Story. Der Protagonist, dieser junge Mann, glaubt sehr stark an Synchronizität und richtet sein Leben danach aus. Aber als die Zeichen, nach denen er sich richtet, auf einmal ausbleiben und ihn damit in die falsche Richtung lenken, bricht seine Welt auseinander.

Tim: Du bist nicht bekannt als eine religiöse Person, auch wenn du in den Lyrics mit religiösen Begriffen spielst. Haben die Suche nach Antworten und deine Nachforschungen über Synchronizität dir in irgendeiner Weise geholfen oder dir neue Einsichten beschert?

Die Beschäftigung mit dem Thema und sich der Theorie zu öffnen, war schon eine gruselige Erfahrung.

Ben: Ja, ich bin überhaupt nicht religiös. Aber ich kann dir sagen: Die Beschäftigung mit dem Thema und sich der Theorie zu öffnen, war schon eine gruselige Erfahrung. Es passierten auf einmal so viele „Zufälle“ um mich herum, während ich die Texte schrieb. Ich war wirklich geschockt. Ich bin immer noch nicht sicher, wie ich genau zu dem Thema stehe, aber die Idee gefällt mir!

Tim: Mit „In Sequence“ habt ihr einen großen Schritt in eurer Karriere als Band gemacht. Wie sehen denn eure Pläne für die Zukunft aus? Obwohl ihr bereits sieben Alben veröffentlicht habt und jede Menge Shows spielt, arbeitet ihr alle in gewöhnlichen Jobs. Was muss denn passieren, um aus Amoral einen Full-Time-Job zu machen?

Ben: Dafür bräuchte es höhere Gagen bei den Shows und bessere Albumverkäufe. Aber im Ernst: An diese Option denken wir mittlerweile gar nicht mehr. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass die Tatsache, dass niemand finanziell von dieser Band abhängig ist, der Grund für unsere Vielseitigkeit ist und auch der Grund dafür, dass wie nie Angst haben müssen, musikalisch neue Wege zu beschreiten. Wir machen die Musik für uns selbst und können genau das tun, was wir wirklich tun wollen.

Tim: Das klingt auf jeden Fall sehr ehrlich. Bist du generell jemand, der auf der Karriereleiter das Risiko meidet? Oder gibt es eine Linie, die du niemals überschreiten würdest?

Ben: Musikalisch betrachtet? Da bin ich definitiv risikofreudig und ich denke, das aktuelle Album spricht in dieser Frage für sich. Wir hatten niemals Angst davor, Neues auszuprobieren.
Im alltäglichen Leben bin ich zwar kein Draufgänger, aber hin und wieder gehe ich schon mal ein Risiko ein, ja!

Tim: Amoral ist im Grunde eine Metal-Band, aber man merkt, dass ihr mit jedem Album reifer werdet. Kommen eure Einflüsse eigentlich mehr aus der Metal-Szene oder auch aus anderen Musikrichtungen?

Amoral (Copyright: Amoral)

Amoral (Copyright: Amoral)

Ben: Definitiv beides! Und das ist auch etwas, was ich an dieser Band so toll finde. Wir alle haben Einflüsse aus unterschiedlichen Stilen. So können wir sicherstellen, dass am Ende kein langweiliger, generischer Rock dabei raus kommt. Wir haben schon immer viel mehr als nur Metal im Kopf gehabt und mit jedem Album kommen mehr und mehr Einflüsse aus anderen Genres dazu.

Tim: Da hast du recht, aber gibt es auch eine Stilrichtung, die du niemals als Einfluss für Amoral dulden würdest?

Ben: Wenn es eine Sache gibt, die ich durch Amoral gelernt habe, dann diese: Sag niemals nie!

Tim: Ok, dann sind wir schon jetzt gespannt auf das nächste Album, haha.
Zum Schluss des Interviews habe ich hier noch ein paar Buzzwords für dich. Lass uns einfach wissen, was dir bei den Begriffen als erstes durch den Kopf geht:

Crowdfunding

ist eine coole neue Möglichkeit für Fans, den Künstler direkt zu unterstützen.

Hotelzimmer

sind ein Luxus im Vergleich zum Schlafplatz auf dem Boden eines kalten Vans.

Plattenfirmen

unterscheiden sich. Wenn sie an eine Band glauben und die Ressourcen haben, eine Band zu pushen, können sie eine super Sache sein!

Pay to play

ergibt Sinn aus Sicht der Veranstalter, aber für die Bands ist es natürlich scheiße.

Facebook

bringt unnötige Mahlzeiten-Posts und Katzenvideos.

Chartplatzierungen

sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Selbstmord

ist nie eine Option

Musikvideos

sind meistens generisch und langweilig, können aber mit Budget und einer GUTEN Idee wirklich großartig werden.

Synchronizität

ist eine Möglichkeit.

Tim: Super, vielen Dank für die Antworten und dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Gibt es noch etwas, das du unseren Lesern mitteilen möchtest?

Ben: Danke! Ich hoffe, ihr zieht euch „In Sequence“ einmal rein, oder zweimal – und bleibt da drauf hängen!

Video

Details

Amoral – Homepage
Amoral – Facebook
Amoral – Twitter

Diskografie: 

2004 – Wound Creations
2005 – Decrowning
2007 – Reptile Ride
2009 – Show Your Colors
2011 – Beneath
2014 – Fallen Leaves & Dead Sparrows
2016 – In Sequency

Copyright Artikelbild: Amoral



Über den Autor

Tim
Je länger man kaut, desto süßer das Brot!




 
 

 

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