Das Jahr 2020 war sicherlich ein ganz spezielles und für viele von euch und uns auch ein besonders schwieriges und aufreibendes. Über das allgegenwärtige Thema Corona ist jedoch bereits genug gesprochen und geschrieben worden. Und so wollen wir uns hier auf das Angenehme und Schöne sowie das Herausragende und das Erinnerungswürdige beschränken.
Nach mittlerweile guter alter Tradition präsentieren wir euch auch zum Abschluss dieses Jahres unsere Bestenliste aus der Welt der Neunten Kunst. Die Liste ist dabei freilich rein subjektiv und tagesformabhängig und stellt einen Querschnitt unserer wöchentlichen und monatlichen Besprechungen und Analysen zu den Werken aus der Vielfalt der deutschen Verlagslandschaft dar.
Und nun wollen wir uns ohne weitere Umschweife den diesjährigen Champions widmen!
Die DeepGround-Comic-Charts 2020
10. Wonder Woman: Dead Earth
Den Auftakt macht die Amazonenprinzessin Diana.
Autor und Zeichner Daniel Warren Johnson katapultiert die Amazone Wonder Woman in eine finstere postapokalyptische Welt, in der sie als Sinnbild der Hoffnung im Kampf ums Überleben der Menschheit steht.
Bislang liegen drei Hardcover-Alben der DC Black Label-Serie hierzulande vor (darunter „Wonder Woman: Dead Earth 1 (von 4)“, „Dead Earth 3 (von 4)“) und wir haben keinerlei Zweifel, dass Johnson auch ein fulminantes Finale für seine Schöpfung gelingen wird.
9. Harleen
Platz 9 geht an einen weiteren Titel aus dem starken Black Label: die dreiteilige Albenserie „Harleen“ („Harleen 1“, „2“, „3“).
Hier schickt sich der großartige Künstler Stjepan Šejic an, die Herkunftsgeschichte der Psychologin Dr. Harleen Quinzel alias Harley Quinn neu zu interpretieren.
In unnachahmlichen Bildern, die ihresgleichen vergeblich suchen, wird eine Geschichte erzählt, die vermeintlich längst bekannt war.
Auch für „Nicht-Harley-Fans“ ist dieses fesselnde Portrait einer Kultfigur einen Blick wert.
8. Das Puppenhaus
Schon wieder das Black Label? Ja, ganz recht. Innerhalb des Labels hat der Kronprinz des Horrors, Autor Joe Hill, sein ganz persönliches Imprint erhalten: „Hill House Comics“. Unter diesem Banner erschien hierzulande erst kürzlich der Comic „Joe Hill – Das Puppenhaus“ aus der Feder von Autor M. R. Carey und visuell stimmungsvoll in Szene gesetzt von Zeichner Peter Gross.
Das brillante Team präsentiert intelligenten Horror, der auf den Spuren von Jordan Peele, Ari Aster („Midsommar“) und weiteren modernen Autorenfilmern wandelt; erzählt wird von einer von Gewalt geprägten Kindheit und der emotionalen Flucht in die vermeintlich heile Welt eines Puppenhauses.
7. Joker/Harley: Psychogramm des Grauens
Die Black Label-Serie „Joker/Harley: Psychogramm des Grauens“ ist voraussichtlich (ebenfalls) auf drei Bände angelegt; doch wir haben wirklich keinerlei Zweifel, dass auch dies hier eine ganz besondere eigenständige Geschichte werden wird.
Romanautorin Kami Garcia wirft – wie Kollege Stjepan Šejic – ebenfalls einen frischen Blick auf die toxische Beziehung zwischen dem Joker und Harley Quinn. Garcias Ansatz kann dabei indessen nicht auf eine Interpretation „reduziert“ werden. In einer klassischen Krimi-Story wird der Clownprinz des Verbrechens zum verrückten Serienkiller, während Harleen die taffe Profilerin mimt.
Das bockstarke Artwork von Mico Suayan, Mike Mayhew und Co. kommt dabei geradezu fotorealistisch daher.
6. Gideon Falls
Für alle, die schon begannen, fragend die Stirn zu runzeln: Ja, es finden sich auch Titel in unserer Liste, die nicht innerhalb des Black Labels erschienen sind. Wie schon im Vorjahr geht ein starker 6. Platz an „Gideon Falls“ (u.a. „Gideon Falls 4: Das Pentoculus“, „Gideon Falls 3: Der Kreuzweg“) von den Könnern Jeff Lemire und Andrea Sorrentino.
Die komplexe Mystery-Horror-Serie ist durchgehend fesselnd und erzählt von dem Mythos einer Schwarzen Scheune, durch welche das Grauen seinen Weg in die Kleinstadt findet. Brillant erzählt und atemberaubend in Szene gesetzt.
Dem Abschlussband der Serie „Gideon Falls 5: Welten des Bösen“, der im März 2021 erscheint, blicken wir gespannt entgegen; ebenso wie „Joker: Killer Smile“, ebenfalls Lemire und Sorrentino, mal wieder DC Black Label.
5. Das Lovecraft’sche Werk, in Szene gesetzt von Gou Tanabe
Platz 5 geht an die Manga-Adaptionen des Werks des Meisters der schaurigen Literatur, H. P. Lovecraft, aus der Feder von Mangaka Gou Tanabe.
In fantastischen, detailbesessenen Bildern präsentiert Gou Tanabe diese klassischen Geschichten, die stets von der Angst vor dem Unbekannten und Bedrohlichen handeln, für ein neues Publikum.
Da wir uns für keines der Bücher des Könners entscheiden konnten, geht der geteilte fünfte Platz an die bisher veröffentlichten Manga-Ausgaben „Die Farbe aus dem All“, „Der Hund und andere Geschichten“ sowie „Berge des Wahnsinns 1“.
4. Eine Studie in Smaragdgrün
Wo wir doch gerade bei Howard Phillips Lovecraft waren: Ein hervorragender 4. Platz geht an „Eine Studie in Smaragdgrün“.
Nach einer Vorlage des virtuosen Neil Gaiman inszenieren Rafael Albuquerque und Rafael Scavone einen wunderbaren Comic, in dem zwei große Literatur-Welten aufeinanderprallen: Der giftgrüne Cthulhu-Mythos und die „Großen Alten“ treffen auf „Eine Studie in Scharlachrot“ bzw. Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Doch hier ist nichts, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint.
Top 3
3. Deadly Class
In unserer Wertschätzung nochmals gestiegen ist die Hit-Serie „Deadly Class“ von Rick Remender und Wes Craig, die mittlerweile auch hierzulande als TV-Serie von Streaming-Gigant Netflix veröffentlicht worden ist und damit sicherlich ein noch größeres Publikum erreicht.
Die Abenteuer rund um Marcus Lopez und seine Freunde und Feinde von der Kings Dominion Akademie für tödliche Künste (u.a. „Deadly Class 5: Karussell“, „Deadly Class 4: Stirb für mich!“) sind ungebrochen hervorragend und lassen den Leser die Seiten geradezu verschlingen.
Band 6 „Nicht das Ende“ wartet noch auf unserem Lesestapel – und wir können es kaum erwarten, wieder in diese detailreiche und brillant geschriebene Welt einzutauchen.
2. Joe Hill: Ein Korb voller Köpfe
Die Silbermedaille geht wohlverdient an die erste Veröffentlichung aus dem DC-Unter-Label „Hill House Comics“: Joe Hill – Ein Korb voller Köpfe.
Das Horror-Mastermind Joe Hill, seines Zeichens der Sohn von Bestsellerlisten-König Stephen King, schreibt den Auftakt für sein persönliches Imprint höchstselbst und legt damit eine ebenso kurzweilige wie skurrile Miniserie vor, die aus jeder Pore den typischen Kleinstadt-Horror der 1980er-Jahre verströmt.
Das Artwork weist dabei einen schön pulpig-urigen Retro-Charme auf; gekonnt in Szene gesetzt von Zeichner Leomacs.
1. Batman: Der Fluch des Weissen Ritters
Einige von euch haben es wahrscheinlich schon erwartet, doch nun steht es auch fest: Auch der triumphale 1. Platz geht an das Black Label von DC Comics.
Nachdem sich Ausnahmekünstler Sean Murphy und sein brillantes Werk „Batman: Der Weiße Ritter“ im Vorjahr noch der Welt von „Black Hammer“ geschlagen geben musste, folgt in diesem Jahr unser endgültiger Ritterschlag und die Krönung von „Batman: Der Fluch des Weißen Ritters“ zum besten Comic des Jahres.
Sean Murphy greift sich für seine Welt und seine Geschichten die Mythologie des Mitternachtsdetektivs und modelliert Altes und Bekanntes zu einer spannenden neuen Mixtur um. So bekommt es der Dunkle Ritter – in einer von „Knightfall“ geprägten – Geschichte nicht nur mit dem Joker, sondern insbesondere mit dem brutalen Azrael zu tun, wobei auch die Geschichte von Gotham City auf dem Spiel steht.
Völlig zu Recht spricht man in Bezug auf Murphy und seine Arbeiten – in Anlehnung an Frank Miller, „Die Rückkehr des Dunklen Ritters“ und das Millerverse – mittlerweile schon vom Murphyverse.
Chapeau, Mister Murphy! Wir blicken den künftigen künstlerischen Vorhaben mit größter Vorfreude entgegen.
Schlusswort
Wie sich aus der ganzen Hit-Liste ergibt, war das Comic-Jahr 2020 unseres Erachtens von einem qualitativ absolut hochwertigen und unglaublich dominanten Comic-Imprint geprägt. Dem Black Label ist es eindrucksvoll gelungen, das schwere Erbe von DCs starkem „erwachsenen“ Vertigo-Label anzutreten und ein Highlight nach dem anderen zu präsentieren. Auch im Übrigen war es indessen ein ausgesprochen starker Jahrgang, in dem es nicht leicht war, sich auf eine Bestenliste festzulegen.
Was bleibt uns noch zu sagen?
Wir hoffen, das bescheidene Jahr 2020 hat euch und eure Liebsten nicht zu hart getroffen, und dass ihr alle ein paar ruhige und besinnliche Tage verbringen könnt.
Wir wünschen euch ein schönes Weihnachtsfest und für das kommende Jahr alles erdenklich Gute!
Auf jede tiefste Dunkelheit folgt auch immer wieder Licht und auf jede finstere Nacht die Wärme des hellen Tages.