Review

In unbekannter Zukunft wird die Welt nicht mehr die sein, die wir als gegeben nehmen. Der Klimawandel ist ein wissenschaftlich mehrfach bestätigter Fakt. Die Folgen für die Menschheit sind ständigem Wandel unterzogen, Prognosen müssen angepasst werden, meist zu schnellerem Eintreten der globalen Konsequenzen und unserem Nachteil. In „Unvermögen“ wird einem in prächtigen Farben eine Version einer Dystopie nach den größten klimatisch geografischen Veränderungen aufgezeigt.

Verfasst und gezeichnet hat dieses Werk Andreas Kiener und es in einem schön gestalteten, haptisch ansprechenden Hardcover beim Verlag Edition Moderne verlegen lassen.

Die Handlung

Bereits auf den ersten Seiten erleben die Leser:innen im Zeitraffer, wie die Menschheit ihre Umwelt formte und stetig zugrunde richtete. So scheint es eine unausweichliche Folge, dass fast die gesamte Welt zu Beginn der Handlung unter Wasser steht. Nur wenige Ballungszentren – riesige Festungen im Hochgebirge oder schwimmende Inselstädte – sind die einzigen übrigen Lebensräume der Menschen.

In einer dieser riesigen Städte lernen wir das sechsjährige Mädchen Ali kennen, die nach dem Tod ihrer Großmutter in einem Waisenheim landet. Doch sie hat ein Ziel, sie will unbedingt ihre Mutter wiederfinden und das mithilfe ihres Shiemen Roboters „Rob“. Dieser hat die Gestalt eines großen Teddybären und ist neben der strikten Programmierung ein äußerst teures Gerät, das sich nur extrem reiche Menschen leisten können. Er ist zur Wahrheit angehalten, darf keine Gewalt gegen biologische Lebensformen anwenden, muss gleichzeitig seine Besitzerin beschützen und kann ihr keinen Befehl ausschlagen.
Zusammen machen sich Ali und Rob auf den Weg, um ihre Mutter zu finden. Da das „Unvermögen“ des Roboters darin liegt, nichts über die vermisste Mutter preis zu geben und er nur Hilfsmittel, jedoch keine gute Hilfe bei einer solchen Suche ist, müssen sie zum Hauptquartier der Shiemen-Corporation. Dort erhoffen sie sich, Teile Robs umzuprogrammieren, sodass sie gemeinsam schneller zur Mutter gelangen.

Parallel dazu wird in die Zentrale der Shiemen geschaltet und die Strukturen dieser Firma beleuchtet. Der Chef dieses Konzerns scheint selber übermenschliche Fähigkeiten zu besitzen und baut an einem kräftigeren Nachfolgemodell.

Ein weiterer kleiner Handlungsstrang ist der des armen Mannes, den man zu Beginn dieser Handlung kennenlernt. Sein plötzlich veränderter Lebensstil bringt ganz eigene Probleme mit sich, die beiläufig in die Geschichte eingeflochten werden. Mit ihm wird die Thematik Ressourcen und ihr begrenztes Vorkommen direkt in der Exposition angegangen. Er erfährt seinen ganz eigenen, thematisch passenden Läuterungsprozess.

Die sorglos naive Herangehensweise der Protagonistin färbt den Blickwinkel der Erzählung. Die angesprochenen Themen bleiben oft innerhalb ihres kleinen Wirkungskreises auch kleine Probleme, jedoch können anhand des Gezeigten auch ethisch-moralische Diskussionen eröffnet werden.

Der Stil

Die Zeichnungen können als architektonisch eindrucksvoll, atmosphärisch dicht, liebevoll kindlich und gleichzeitig sanft in ihrem Stil beschrieben werden.

Leseprobe aus der Graphic Novel „Unvermögen“ von Andreas Kiener. (Copyright: Edition Moderne)

Der Strich ist kräftig und die Panels sind oftmals wie Wimmelbilder gestaltet, in denen man Rob und seinen Schützling Ali suchen muss. Die Szenerie ist reich an Details und gibt einem einen schönen Eindruck von der kulturell bunten Welt, in der sich die Menschen auf engstem Raum bewegen müssen.

Das wohl Auffälligste an dieser Graphic Novel ist dann aber doch die Kolorierung. Fast ausschließlich arbeitet der Künstler mit Gelb und Violett-Rosa. Gelegentlich als kontrastierender Farbverlauf über eine ganze Seite, aber auch als Grundfarbe für die Hauptfiguren. Die zwei werden zumeist gelb gefärbt, wenn sie in Aktion gezeigt werden. Unter den Menschen jedoch verschwinden sie auch mal in einer mehr oder minder zweifarbigen Seite. Die Wahl dieses Farbstils verleiht der gezeigten Welt eine Monotonie, die im selben Moment friedlich, ja fast freundlich wirkt. Es wirkt der Farben wegen sehr angenehm und verspielt.

Fazit

In seiner dystopisch bedrückenden Welt der Zukunft schafft es Andreas Kiener gelungen, den kindlichen Optimismus mit farblich verträumten Bildern zu paaren. Die Figuren brauchen nicht viele Worte, die Handlung ist ruhig erzählt und lässt einen trotzdem gefesselt durch die Städte schreiten, in denen es allerhand zu entdecken gibt. Der „Antagonist“ dieser Geschichte stellt sich zudem als mehrdimensionaler Mensch heraus und nicht wie so häufig als Abziehbild seines Klischees. Die Entwicklung der Figuren und die daraus resultierenden Fragen würden genügend Potenzial für eine Fortsetzung bieten.

„Unvermögen“ ist leicht, interessant und eine visuelle Reise in zartem Rosa. Es ist – der ausbleibenden expliziten Gewalt und auch der kindlichen Perspektive wegen – zudem für die Lektüre mit Kindern geeignet.


Unvermögen

Inhalt

Im 23. Jahrhundert steht die Menschheit kurz davor, den Lauf der Dinge bis ins kleinste Detail vorher­sagen zu können. Bald wird Schicksal berechenbar sein — doch zu welchem Preis? Während die Elite an ihrer Hybris bastelt, will Ali nur eins – ihre Mutter finden.

(Quelle: Edition Moderne)

Details

Format: Hardcover
Veröffentlichung: 09/2021
Seitenzahl: 160
ISBN: 978-3-03731-220-9
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage: Edition Moderne

Copyright Cover: Edition Moderne



Über den Autor

Lars Hünerfürst
Musiker, Texter und Mensch, lebend in Berlin.