Review
Das Finale
Bei einer Wahlkampfveranstaltung von Gouverneur Turley kam es zu einem versuchten Mord. Der neue Rorschach, der alte Comic-Künstler William Myerson, und seine junge Gehilfin, Kid Laura Cummings, hatten es auf den Herausforderer von Präsident Redford abgesehen.
Das Attentat scheiterte allerdings, Myerson und Cummings kamen dabei ums Leben. Ein namenloser Ermittler wurde damit betraut, die Hintergründe der Tat aufzuklären. Dessen Weg führte im Laufe der Untersuchung zu einer verlassenen Ranch, zur Haustür eines gewissen Frank Miller und schließlich zurück zu seinem Auftraggeber.
Der Fall konnte gelöst werden – oder doch nicht?
Viele Fragezeichen
Eine längere Inhaltsangabe sparen wir uns an dieser Stelle. Wer die Handlung nochmals ausführlicher rekapitulieren möchte, der wirft einen Blick auf unsere vorherigen Kritiken („Rorschach 1“, „Rorschach 2“, „Rorschach 3“).
Nachdem wir die ersten beiden Alben für großartig befunden hatten, kam mit der vorletzten Ausgabe bereits eine gewisse Skepsis auf. So formulierten wir dort: Tom King reichert seine Story mehr und mehr mit unerwarteten und mysteriösen Neuerungen und Themenfeldern an; für eine schlüssige Auflösung verbleibt nunmehr allerdings nur noch ein Buch. Ein derart langer Aufbau ist nur dann befriedigend, wenn er im Ganzen auf etwas Großes hinausläuft. Hier ist zu befürchten, dass dies nicht der Fall sein könnte. Es gibt etliche lose Enden, die noch verbunden werden wollen.
Diese Befürchtung hat sich mit „Rorschach 4“ meines Erachtens bewahrheitet. Möglicherweise verbirgt sich ein großer und cleverer Masterplan hinter alledem. Mir bleibt dieser indessen weitgehend verborgen.
Doch kommen wir zunächst zur Habenseite. Bis zum Ende gefällt mir Tom Kings Ansatz für diese recht eigenständige Geschichte ausgesprochen gut. Einen „Rorschach“-Krimi in der Tradition der legendären „Watchmen“ im Dunstkreis von Fake News und Verschwörungstheorien spielen zu lassen, verträgt sich nicht nur besonders gut mit der meisterlichen Vorlage, sondern auch und vor allem mit unserer gegenwärtigen verrückten Zeit.
So wirkt eine Aussage von William Myerson an einer Stelle gerade so, als könnte sie an alle Trump-Wähler, Corona-Leugner, Impfgegner und „Querdenker“ gerichtet sein.
„Es ist die Pflicht des Bürgers, dem Gemeinwohl zu dienen. Wenn er das nicht tut, versinkt das System im Totalitarismus.
Der Schwund von politischer Anteilnahme, das Ablehnen von Verantwortung, des Mitdenkens sind die Saat, aus der das Böse entspringt.
Das Ende des Austauschs zwischen dem Bürger und seiner Regierung ist gleichbedeutend mit dem Ende des Austauschs zwischen den Menschen und sich selbst.“
(William Myerson zum Ermittler, in: „Rorschach 4“; Panini Comics)
So ambitioniert und clever die verhandelten Themen auch sind, so wenig geschickt ist King vorliegend darin, nach und nach die weitreichende Verschwörung aufzudecken.
Die Machenschaften und Verschwörungstheorien nehmen hier gleich mehrere Wendungen, die irgendwann besonders schwülstig und textlastig daherkommen. Selbst wenn man als Leser:in die vielschichtige Geschichte und die einzelnen Verstrickungen noch nachzuvollziehen vermag, so ergeben sich dennoch zum Ende hin mehr und mehr Ungereimtheiten.
Vor dem großen Finale wird der an sich recht emotionslose und stoische Ermittler zunehmend emotionaler und reagiert immer zügelloser und heftiger auf neue Ereignisse bzw. Erkenntnisse. Diese Figurenentwicklung bahnt sich nicht an und will auch nicht zu der Charakterzeichnung bis zu diesem Zeitpunkt passen. Um Spoiler zu vermeiden, soll hier auf Einzelheiten nicht näher eingegangen werden.
Es erschließt sich – jedenfalls mir – auch nicht, warum Myerson an Steve Ditko erinnert; oder warum Frank Miller in dieser Geschichte eine (fiktive) Rolle spielt. Es ist nicht auszuschließen, dass hier ein tieferer Sinn oder eine Art Pointe verborgen liegt; für mich sind sie jedenfalls nicht zu erkennen. Tom Kings Story bleibt überaus vieldeutig, am Ende des Tages allerdings auch sehr vage – zu vage. Nach der Lektüre ist es mir nicht einmal möglich, abschließend zu beurteilen, ob die Nennung Millers eine liebevolle Hommage sein soll oder ob King einen Groll gegen diesen hegt. Wir werden es vermutlich nie erfahren.
Auf den letzten Seiten sehen wir dann in einem Panel auch noch Comic-Versionen von Autor Tom King und Zeichner Jorge Fornés. Warum? Weil sie es konnten. In diesem Fall dürfte die Suche nach einem tieferen Sinn obsolet sein.
Fazit
Zeichner Jorge Fornés und Kolorist Dave Stewart erhalten die hohe Qualität ihrer Arbeit bis zum Ende aufrecht. Das Artwork allein macht diese Miniserie lesenswert. Was die Geschichte von Autor Tom King betrifft, so bleiben am Ende des Tages etliche Aspekte ungeklärt und das Potenzial für einen Comic-Klassiker ungenutzt.
Inhalt
Der neue Rorschach wollte den Herausforderer von Präsident Redford ermorden. Ein Detective ermittelt zwischen Verschwörungstheorien, Wahnsinn, Politik und selbst Comics. Welche Antwort wird er finden, und was tut er dann damit?
(Quelle: Panini Comics)
Autor
Tom King
ist ein amerikanischer Autor und Comicbuchschreiber und Ex-CIA-Officer.
Details
Format: Hardcover
Vö-Datum: 11.01.2022
Originalausgaben: Rorschach 10-12
Seitenzahl: 76
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage:Â Panini Verlag
Copyright Cover: Panini Verlag
Ich bezweifle, dass die Darstellung des Frank Miller hier eine liebevolle Hommage sein soll, ich vermute eher, es hat mit Millers „unglücklicher“ Darstellung von Muslimen zu tun – ging letztes Jahr durch die Presse (wenn man danach gesucht hat). Aber genau kann ich es natürlich auch nicht wissen…