Review

Wer ist der maskierte Mann?

Die Welt der „Watchmen“ – 35 Jahre später. Der ehemalige Schauspieler und Liberale Robert Redford ist mittlerweile der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Im Zuge des US-Wahlkampfes kommt es zu einem Attentat auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Turley. Der Republikaner überlebt, die Täter werden erschossen. Bei den Attentätern handelt es sich um eine junge Frau und einen Mann, Letzter verkleidet als Rorschach. Wie sich herausstellt, hört die junge Gehilfin Kid auf den bürgerlichen Namen Laura Cummings, während der Maskierte der Comic-Zeichner William Myerson ist. Ein versierter, aber unscheinbarer Ermittler soll den Fall aufklären. Und das möglichst schnell und geräuschlos („Rorschach 1“).

In „Rorschach 2“ werfen wir nun insbesondere einen weiteren Blick in die Vergangenheit von Laura Cummings. Die hat nach ihrer (verstörenden) Jugend in Wyoming eine Weile beim Zirkus gearbeitet, wo sie einen geistig unterbelichteten Gewichtheber davon überzeugt, er sei der nächste Rorschach. Aus Zuneigung zu ihr begeht der Kraftprotz allerhand Gräueltaten.

Lauras verquere These: Die Helden der Erde hätten ihre Körper aufgelöst, um sich vor weiteren „Tintenfisch“-Angriffen in Sicherheit zu bringen. Der zum Mars ausgewanderte Dr. Manhattan habe ihre Seelen genommen und sie in andere Körper versetzt – beispielsweise in solche von tumben Kraftmeiern.

In der Gegenwart trifft unser erfahrener Kriminalist auf Präsidentschaftskandidat Turley, der trotz der bisherigen Ermittlungen davon überzeugt ist, dass Redford seinen Tod will, da der Amtsinhaber eine verheerende Wahlniederlage befürchte.

Zum Abschluss der Ausgabe sehen wir, wie sich Kid Laura Cummings und der neue Rorschach Wil Myerson seinerzeit über eine ausgiebige Brieffreundschaft kennengelernt haben. Diese begann zunächst recht unverfänglich aufgrund der Tatsache, dass Laura eine glühende Verehrerin der Comic-Arbeiten des Eigenbrötlers war. Der ältere Herr ist überaus empfänglich für Komplimente und Schmeicheleien und lässt sich auf eine merkwürdige Verbindung ein.

Klarer und doch komplexer

In „Rorschach 2“ vertieft der preisgekrönte Autor Tom King („Batman 11: Der Untergang“) nochmals den Blick auf seine Figuren.

Der von Ozymandias fingierte Angriff tintenfischähnlicher Aliens auf die Erde hat tiefe Spuren in der US-amerikanischen Bevölkerung hinterlassen; Stimmungsmache und Verschwörungstheorien verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Das kommt uns aus der realen Gegenwart nur allzu bekannt vor; spätestens wieder seit dem unfassbaren Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021. Die Menschen glauben, was sie glauben wollen. Vor allem in der heutigen Zeit. Wahrheit scheint für viele Menschen eine subjektive Einschätzung geworden zu sein. Trotz naheliegender Anhaltspunkte wird mitunter zugunsten abwegiger Theorien auf jegliche Vernunft und gesunden Menschenverstand verzichtet – die Corona-Pandemie macht diese Probleme auch hierzulande sicht- und spürbar.

Leseprobe aus „Rorschach 2“. (Copyright: Panini Comics)

Mit derartigen Fake News und Verschwörungstheorien spielt Tom King, wenn er seine (politischen) Attentäter an völlig aus der Luft gegriffene, abstruse Anschauungen glauben lässt. Hinsichtlich der Hintergründe und Motive des Attentats auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten werden wir indessen weiterhin im Dunkeln gelassen. Insbesondere im Hinblick auf den Umstand, ob es sich überhaupt um eine politisch motivierte Tat handelte, haben wir noch keine neuen Erkenntnisse gewonnen.

Der Ermittler bleibt als Figur bislang recht blass – ob das beabsichtigt ist oder nicht, muss ebenfalls die Zukunft zeigen. Richtig abgefahren wird die Geschichte allerdings, als der Ermittler sich eine Aufnahme anhört, die unter anderem die Stimmen von Otto Binder (Schöpfer zahlreicher Comic-Figuren) und Frank Miller (legendärer Erneuerer des Comic-Mediums; z.B. „Marvel Must-Have: Daredevil – Auferstehung“ oder zuletzt „Superman: Das erste Jahr“, „Batman: Dark Knight III #7“) wiedergibt. Auf diese Aspekte der Story gehen wir in der Besprechung zu Album 3 näher ein.

Jorge Fornés tobt sich hier weiter munter aus und präsentiert ein „Watchmen“-würdiges Artwork.

Fazit

Tom King befasst sich einmal mehr auf kreative Art und Weise mit Gegenwartsthemen; indes droht auch diese Geschichte mit dem nächsten Teil eine King-typisch eher verkopfte Richtung einzuschlagen. Es bleibt abzuwarten, ob es ihm gelingt, die angedeuteten Metaebenen glaubhaft in das hiesige Universum einzuweben.


Rorschach: Bd. 2 (von 4)

Inhalt

Mit dem einflussreichen Comic-Klassiker WATCHMEN veränderten Alan Moore und Dave Gibbons das Medium des grafischen Erzählens für immer. In der neuen Serie RORSCHACH zollen Autorensuperstar Tom King und Top-Zeichner Jorge Fornés dem zeitlosen Meisterwerk aus den 1980ern nun Tribut, berücksichtigen aber auch einige Entwicklungen aus HBOs ausgezeichneter Watchmen-Fernsehserien-Fortführung von 2019. Allerdings ist RORSCHACH in erster Linie eine hervorragend inszenierte, weitgehend eigenständige Geschichte: ein packender Polit-Thriller und atmosphärischer Noir-Krimi, der zeigt, wie die Alternativwelt von WATCHMEN 30 Jahre später aussieht. So wird die Serie, wie das Original, zum Spiegel unserer gesellschaftlichen und politischen Gegenwart.

(Quelle: Panini Comics)

Autor

Tom King
ist ein amerikanischer Autor und Comicbuchschreiber und Ex-CIA-Officer.

Tom King – Facebook | Tom King – Twitter

Details

Format: Hardcover
Vö-Datum: 10.08.2021
Originalausgaben: Rorschach 4-6
Seitenzahl: 76
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage: Panini Verlag

Copyright Cover: Panini Verlag



Über den Autor

Fabian
"Du lächelst wie jemand, der keine Ahnung hat, wozu ein Lächeln überhaupt gut ist." (Das kleine, blaue, geflügelte Einhorn Happy, in: Happy!)