Review
Das kühl anmutende Cover des diesjährigen „Pfingstgeflüsters“, mit dem der Herausgeber Marcus Rietzsch traditionell „Impressionen und Gedanken aus Leipzig“ teilt und das Wave Gotik Treffen 2014 Revue passieren lässt, wird den erlebten Temperaturen eher weniger gerecht, welche Leipzig und die verschiedenen Veranstaltungsorte an Pfingsten in einen Schwitzkasten verwandelt haben. Schlägt man allerdings das wie üblich in Klebebindung gehaltene Erinnerungsstück auf, wird man sofort in die WGT-Gefühlswelt zurückversetzt.
Diese charakteristische Mischung aus Vorfreude und Wehmut, Nervosität und Routine, fühlten vermutlich alle Besucher an diesem Wochenende. Und sogar hart gesottene Musiker, welche die Festivität mit einem Jubiläumskonzert bereichern wollten, blieben davon nicht verschont, zumindest schildert Myk Jung von The Fair Sex diese und andere WGT-Erlebnisse eindrucksvoll in seinem Beitrag „Dorthin – und viel zu schnell wieder zurück“.
Doch bevor der Leser sich ganz in die folgenden Berichte und Fotos vertieft, sei auf den Gedankensplitter des Herausgebers hingewiesen: Unter dem Titel „Akzeptanz vs. Abgrenzung oder: Die Geister, die wir riefen“ zeichnet der 1972 geborene Rietzsch kurz die Geschichte der dunklen Szene nach. Eindrücklich schildert er, wie das aus Verunsicherung und Verleumdung entstandene Bild des „schwarzgekleideten Satanisten“ nach und nach durch Toleranz ersetzt wurde und so ein Miteinander entstand (natürlich unter besonderer Mitwirkung des WGT). Dass diese Entwicklung mitunter zur Assimilation führen könnte, bleibt dem Betrachter dabei nicht verborgen. Damit die jährliche Versammlung der Schwarz-Fans nicht zu einem zweiten Kölner Karneval wird, braucht es immer auch ein wenig Abgrenzung.
Zumindest beweist wenig später Christian von Aster in der ebenfalls traditionellen „Gruselglosse“, dass „Gothismus“ eine durch Parasitenbefall verursachte Krankheit ist und demnach nur schwer auszurotten sein dürfte. Zwar bestehen (in Maßen) positive Heilungsaussichten, welche enormen Risiken sich der Patient dabei aussetzt und welcher bekannte Musiker eindeutig unter den Nebenwirkungen der Therapie leidet, ist in „Der Biß der Grantelwanze. Von der wirklich wahren Wurzel der Gothic-Bewegung“ nachzulesen.
Abgesehen von diesen zwei Schmankerln finden sich natürlich weitere lesenswerte Texte im aktuellen „Pfingstgeflüster“.
Neben literarischen Schmuckstücken bringen vor allem die Berichte echtes WGT-Feeling ins heimische Wohnzimmer: So fühlt sich der geneigte Besucher ob der Schilderungen an die traumhaften Klänge von „Wagner Reloaded. Apocalyptica meets Wagner“ erinnert, schwelgt vor seinem geistigen Auge in den Fotografien von Giovanni Perna oder wandelt nochmals durch die Ausstellung „Die Lebenden und die Toten“ des Grassi Museums.
Rietzsch, der Allrounder, war schließlich auch bildlich auf dem WGT vertreten. Der Ausstellungsbericht lobt die unter dem Titel „Der Zauber des Verfalls. Schon unser Heut ein Gestern ist“ gezeigten Werke. Ein Schelm, der dabei an versteckte Werbung denkt! Zumindest ist das Lob verdient, falls jemand also die Ausstellung zwischen Gummireifen im besagten Fahrradladen verpasst haben sollte, kann immer noch auf die entsprechende Veröffentlichung zurückgreifen.
Die vielen Bilder, zumeist in schwarz-weiß und aufgenommen durch ein buntes Fotografenkader, sind sowieso die heimlichen Stars des „Pfingstgeflüsters“. Beispielsweise vermögen die visuellen Konzertberichte mehr noch als die schriftlichen Stimmungen akut induzieren, auch wenn es sich gelegentlich eher um Schnappschüsse handelt.
Daneben zeigen sich die Besucherfotos wie in den Vorjahren ungekünstelt und beweisen, auch dank diverser Zitate: Zwar ist auf die Frage „Warum eigentlich schwarz?“ keine einheitliche Antwort zu finden, aber dennoch bleibt das Wave Gotik Treffen mehr als eine große Party.
Wer sich das Familiengefühl ins heimische Wohnzimmer holen möchte, dem sei auch die 2014er Ausgabe des „Pfingstgeflüster“ ans „schwarze“ Herz gelegt.
Video
Auszug
Inhalt
Bereits zum neunten Mal erscheint das „Pfingstgeflüster“, der etwas andere Rückblick auf das WGT. Auf über 92 Hochglanzseiten widmet sich der Bild-Text-Band ausführlich der Vielfalt, der Einzigartigkeit und dem außergewöhnlichen Flair des Wave Gotik Treffens, der Stadt Leipzig und der „schwarzen Szene“. Wie immer kombiniert das aufwendig gestaltete Magazin zahlreiche Kurzgeschichten, Kolumnen und Insider-Berichte mit ästhetischen Grafiken und kunstvollen Fotografien.
Akzeptanz vs. Abgrenzung (oder: Die Geister, die wir riefen) von Marcus Rietzsch | Dorthin – und viel zu schnell wieder zurück von Myk Jung | Die morbide Schönheit alter Friedhöfe von Edith Oxenbauer | Der Biß der Grantelwanze von Christian von Aster | Dialog mit einer Ulme von Norman Liebold | Apocalyptica meets Wagner von Ursula Oehme | Denk ich an Leipzig, sehe ich schwarz von Bettina Bormann | Konzertimpressionen von A. Liem, M. Küper und M. Rietzsch | Die Lebenden und die Toten von Dr. Christine Schlott | Schon unser Heut ein Gestern ist von Sabrina Kirnapci | Der freie Geist von Mozart | Pflanzenwelt des Südfriedhofs von Katharina und Parm von Oheimb | Desperate Youth von Thomas Manegold | Viele Schattierungen von Schwarz von Robert Forst | Das Glitzern der Edelsteine auf blankem Gebein von Edith Oxenbauer | Wider die Masse von Thomas Manegold | HR Giger – Ein Jahrhundertkünstler von Guldhan | Leipzig und ich von Anne Clark
(Quelle: Edition Subkultur)
Herausgeber
Mitte der 1990er Jahre hat Marcus Rietzsch seine große Leidenschaft für die Fotografie entdeckt. Neben Porträt-, Akt- und Landschaftsaufnahmen zählen auch Friedhofsimpressionen zu den Motiven des 1972 geborenen Künstlers. Beeindruckt vom besonderen Flair dieser stillen Orte versammelte er im Jahr 2008 zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotografien in dem Bildband „Wenn wir nie träumten…“.
Ebenso spiegeln diverse Aufnahmen, welche in und um leerstehende, verlassene und teils in Vergessenheit geratene Gebäude entstanden sind, sein Faible für die eher ruhigen Plätze wider. Zunehmend widmet sich der selbständige Mediengestalter fotografischen Inszenierungen mit teilweise kritischen Inhalten.
Außerdem ist Marcus Rietzsch Initiator des einmal jährlich erscheinenden Magazins „Pfingstgeflüster“, dass Impressionen, Konzertfotografien und Texte ganz im Zeichen des Wave Gotik Treffens zu Leipzig vereint.
(Quelle: Edition Subkultur)
Details
Pfingstgeflüster – Homepage
Pfingstgeflüster – Facebook
Format:Â DIN A4
Vö-Datum: 23.07.2014
Seitenzahl: 92
ISBN:Â 978-3-943412-67-3
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage: T-Arts / Edition Subkultur
Copyright Cover:Â T-Arts / Edition Subkultur
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