Review
Kamin an, Rotwein auf und ein gutes Buch lesen. Prädestiniert für derlei und ähnliche ruhige Situationen sind vor allem Gedichtbände, von denen es gefühlt immer weniger auf dem Markt gibt. Aus der Schulzeit womöglich durch das Auswendiglernen von Klassikern mit negativen Assoziationen behaftet, zeigt Oswald Henke – zuletzt mit seinem Werk „Narbenverse“, wie moderne Lyrik in der Gegenwart funktionieren kann.
Oswald Henke schreibt dabei ohne Punkt und Komma. Und das nicht nur im übertragenen, sondern auch im wortwörtlichen Sinne, denn der Musiker und Autor blickt bereits auf einige Veröffentlichungen zurück und hält sich in seinen lyrischen Gedankengängen nicht mit grammatikalischen oder orthografischen Regeln auf. Vielmehr erschafft er Poesie, die durch die unkonventionelle Umsetzung zwar alle Regeln der Germanistik sprengt, für Autor und Leser jedoch gerade dadurch und durch die teils damit entstehenden Leerstellen ein hohes Maß an Ausdrucksmöglichkeiten und interpretatorische Freiheit bedeutet. Und das ist gut so, denn damit schränkt er sich und seine Worte nicht ein, presst sie nicht in vorgegebene Muster, sondern lässt seinen Gedanken – auch ohne feste Reimschemata – freien Lauf. Was grammatikalisch falsch erscheint, bekommt dadurch eine ganz eigene Wirkung, die auch am Leser nicht spurlos vorbei zieht. Gemäß des Titels „Narbenverse“ ist dieses Vorgehen sogar als gelungenes Konzept zu verstehen.
Für seine lyrischen Ergüsse nutzt Oswald Henke oftmals nur wenige oder sich wiederholende Wörter, diese sind jedoch stets mit Bedacht gewählt und lassen nicht nur viel Raum für die bereits erwähnte eigene Interpretation, sondern wirken in ihrer Schlichtheit äußerst effektiv.
An anderer Stelle begeistert Oswald Henke mit ausschweifenderen Gedankengängen, die Essay-gleich eine Gefühlswelt preisgeben, die auf unterschiedliche Weise berührt. Findet man sich in einigen Zeilen selbst wieder, bleiben andere Verse abstrakter, allerdings nicht minder nachvollziehbar.
„Narbenverse“ ist melancholisch, die Gedichte zeugen von Bedauern, Trauer, Trostlosigkeit, Leere, Vergänglichkeit. Ab und an blitzt jedoch auch Hoffnung in den Versen auf. Sie spiegeln das Leben. „Narbenverse“ zeigt, was war, was ist und was sein kann. Ein lyrischer Allrounder, gleichsam emotional wie kunstvoll, mit dem man sich stundenlang und immer wieder auf ein Neues auseinandersetzen kann. Dazu sehr fragil, was für zartbesaitete Leser bedeutet, sich mit Vorsicht in den Sog des Gedichtbands zu begeben.
Wie in der Widmung des Gedichtbandes geschrieben, richtet Oswald Henke seine „Narbenverse“ u.a. „allen Menschen, die Worte lieben“. Seine eigene Liebe und Leidenschaft zur deutschen Sprache schwingt zudem in jedem anzutreffenden Gedicht von „Narbenverse“ subtil mit. Mehr davon!
Autor
Bekannt wurde Oswald Henke durch Goethes Erben, die er 1989 gründete. Goethes Erben entwickelten eine ganz eigene Form des Musiktheaters. […] Oswald Henke integrierte hier Elemente wie Tanz und Schauspiel, aber auch Licht in seine Inszenierungen. Weitere musikalische Projekte folgten. […] Mit dem Bandprojekt Fetisch:Mensch wendet sich Oswald Henke deutlich rockigeren musikalischen Strukturen zu.
Er wirkte 2003 in dem Kurzfilm „Debilitas“ mit und zeigte sich hier auch für das Drehbuch teilverantwortlich.
Nach seinem ersten Buch, „FSK 18 – tendenziell menschenverachtend“ (2003), und besonders nach dem zweiten, „Spaziergang durch ein Minenfeld“ (2004), begann er, auch Leseperformances ohne musikalische Begleitung auf die Bühne zu bringen.
Ebenfalls komplett ohne Musik kommt das gemeinsam mit Markus Förster verfasste und von Oswald Henke inszenierte Theaterstück „Zeitenwände“ aus, welches 2008 im Schauspielhaus Leipzig uraufgeführt wurde.
Mit dem aktuellsten Projekt Henke präsentiert der Künstler, gemeinsam mit einer neuen, 4-köpfigen Liveband, seit 2009 auf verschiedenen Festivals und ausgewählten Einzelkonzerten Interpretationen aus dem musikalischen Fundus von Goethes Erben, Artwork und Erblast. Doch so wie sich die Band durch die Kombination von älteren und jüngeren Musikern auszeichnet, gehören auch eigens für Henke komponierte Stücke zum Live-Repertoire. Die ersten Silberlinge erschienen 2011; im Herbst 2012 folgt das nächste Album.
Im Oktober 2008 hat Oswald Henke im Culex-Verlag sein drittes Buch „Ich habe mir die Liebe abgewöhnt und bin doch weiter süchtig“ veröffentlicht. Mit dem neuen Werk in der Tasche war er mit der Lesetour „Seelenkonzil“ zu sehen. Sein lang vergriffenes erstes Buch, „FSK 18 – Tendenziell menschenverachtend“, wurde im März 2009 im Culex-Verlag wieder veröffentlicht. Im September 2012 wurde sein viertes Buch „Zwischengeist“ im Culex-Verlag veröffentlicht.
In Zusammenarbeit mit Rotten-art.com und Iris La Liner entstand der Kurzfilm „Osferatu“. Hierin spielt er einen Serienkiller mit bizarrem Mutterkomplex. […]
(Quelle: Oswald Henke Homepage)
Details
Format: Hardcover mit Lesebändchen
Vö-Datum: 00.09.2014
Seitenzahl: 97
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage: Edition Genom / Oswald Henke
Copyright Cover: Oswald Henke / Edition Genom