Review
Architekturfotografie, die aus sicherer Entfernung einen Blick auf Verlassenes, Verlorenes oder Verborgenes freigibt, inszeniert in schwarz-weiß und im großzügigen Format gebunden. So kennt und liebt man die „Lost Places“-Reihe des Fotografen Marc Mielzarjewicz, die mittlerweile sechs verschiedene und im weitesten Sinn mitteldeutsche Städte umfasst. Der 2008 als erster erschienene Bildband „Lost Places. Schönheit des Verfalls“ hat mit der dritten Auflage „Lost Places Halle (Saale)“ ein Facelift bekommen.
Nach wie vor dreht sich auch diesmal alles um Industrieruinen und ihre ganz eigene, marode Schönheit. Der gebürtige Hallenser Mielzarjewicz zollt den Orten, die er besucht, besonderen Respekt, der in den ansprechend inszenierten Bildern spricht. Dabei ist sein fotografisches Spektrum groß: Von Detailaufnahmen, Innenraumfotografie bis hin zu weitläufigen Außenaufnahmen, die die umliegende Landschaft mit aufnehmen, ist alles dabei. Leider muss der Betrachter an manchen Stellen ziemlich genau hinschauen, denn die Fotos sind nie Seiten füllend. Der schwarze Rahmen auf jeder Seite sorgt zwar für einen einheitlichen Look, aber wenn dazu auf einer Seite auch vier 6x9cm große Bilder abgedruckt sind, wäre eine Zoomfunktion wirklich nett.
Wer zum ersten Mal auf die „Lost Places“-Reihe stößt und Interesse für Architektur und Geschichte mitbringt, wird auch mit diesem Band seinen Spaß haben. Neben den ästhetischen Fotos liefern wieder kurze Infotexte einige interessante Fakten zu den Gebäuden. Hier darf kein historischer Abriss erwartet werden, schließlich stehen die Fotos im Vordergrund, aber ein bisschen mehr Leben hauchen sie ein, vor allem dann, wenn der Leser erfährt, dass ein Gebäude bereits abgerissen wurde. Auch in dieser Auflage kommentiert Erik Neumann, wobei Texte des ursprünglichen Portfolios nur dann verändert wurden, wenn es aktuelle Entwicklungen gab.
Grundsätzlich also ein tolles Konzept in ansprechender Umsetzung. Doch was, wenn man bereits einen der hallenser Bände zu Hause hat? Lohnt die aktualisierte Neuauflage?
Das lässt sich mit einem klaren „Jein“ beantworten. Insgesamt lassen sich zwei größere Veränderungen feststellen:
Erstens hat sich der Bildbestand verändert. Bei der Coveraufnahme handelt es sich bereits um eine frische Aufnahme, die so noch nicht veröffentlicht wurde und im Übrigen aus dem Regierungspräsidium im Paulusviertel Halle stammt. Das Regierungspräsidium gehört zu den acht komplett neu aufgenommenen Lost Places. Dafür mussten allerdings sechs Orte das Buch verlassen, somit hat dieser Band mit insgesamt 23 Ruinen – zwei mehr als die Neuauflage. Das bedeutet in Zahlen ausgedrückt: Fast 40% neues Bildmaterial! Außerdem ist das Buch auf 160 Seiten angewachsen. Gleichzeitig muss man natürlich auch sagen, dass die übrigen Fotografien – also 60% – bis auf vereinzelte Aufnahmen identisch zur Vorauflage sind.
Zweitens, und das lässt sich ebenfalls schon am Cover erahnen, haben sich die Fotografien stilistisch gewandelt. Wo früher großzügige Schwarzflächen und starke Kontraste dominierten, scheint sich ein besonderer Blick auf komplexe Strukturen und Muster entwickelt zu haben. Detailreichtum der Momentaufnahmen erzeugt ein harmonisch-chaotisches Bildensemble, an dem sich das Auge lange aufhalten kann. Während man nach immer neuen kleinen Details in Papiersammlungen, Müllhaufen oder Gitterkonstruktionen sucht, fühlt man sich beinahe selbst wie ein Entdecker – Wimmelbilder für Fortgeschrittene quasi.
Verborgenes entdecken, genau das steckt hinter den „Lost Places“ und genau das teilt Mielzarjewicz mit dem Betrachter. Daher ist auch die dritte Auflage wieder eine gelungene Entdeckungsreise, die bei keinem Fotografiefan, Architekturfreak oder Geschichtsfreund fehlen sollte, selbst dann, wenn man bereits einen der Vorgänger besitzt.
Ganz am Rande sei noch angemerkt: Wer mehr sehen möchte, sei auf die zugehörige Internetpräsenz marodes.de hingewiesen. Das Hauptquartier der „Lost Places“ überrascht mit vielen weiteren Motiven und Hintergrundinfos.
Inhalt
Diese fotokünstlerische Bestandsaufnahme stillgelegter Industrieruinen und maroder Baudenkmäler fasziniert aufgrund eines fast archäologischen Blicks auf die sichtbaren Überreste vergangener Bau- und Industriekultur und konserviert so die architektonische Schönheit, die sich im Verfall offenbart. Der Verzicht auf künstliches Licht und die Reduzierung auf Schwarz-Weiß-Technik unterstreichen den grafischen Charakter der Fotografien und lenken die Betrachtung auf das Wesentliche.
(Quelle: Mitteldeutscher Verlag)
Fotograf und Autor
Fotograf – Marc Mielzarjewicz
geboren 1971 in Halle, Studium der Wirtschaftswissenschaften. Fotografiert seit Mitte der 80er Jahre mit Schwerpunkt Architektur- und Detailfotografie, marode (Industrie-)Architektur, Ausstellungen zum Thema Industrieromantik. Er lebt heute in Halle und arbeitet in Leipzig.
(Quelle: Mitteldeutscher Verlag)
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Autor – Erik Neumann
geboren 1962, Studium der Philosophie, Philosophiegeschichte und Geschichte, seit 1990 wiss. Mitarbeiter am Stadtmuseum Halle, zahlreiche Publikationen und Ausstellungen auf dem Gebiet der Stadtgeschichte, Schwerpunkt 19. und 20. Jh.
(Quelle: Mitteldeutscher Verlag)
Details
Format: gebundener Bild-Text-Band mit Textbeiträgen von Erik Neumann (s/w-Abbildungen)
Vö-Datum: 01.12.2015
Seitenzahl: 160
ISBN: 978-3-95462-408-9
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage: Mitteldeutscher Verlag
Copyright Cover: Mitteldeutscher Verlag