Review
Depression und Einsamkeit
Es könnte alles so schön sein in der Sonne von Palma de Mallorca. Doch die junge Catalina sieht die Welt nur noch düster. Von ihrem Elternhaus hat sich Cata freiwillig distanziert, bei der Wahl ihrer Freundschaften ist sie – gelinde gesagt – wählerisch und es durchzuckt sie immer wieder schmerzhafter Liebeskummer. So ist sie unglücklich in ihre Sandkastenfreundschaft Xisco verliebt. Der extrovertierte, lebenslustige und attraktive junge Mann ist – vermeintlich – Catas kompletter Gegenentwurf. Er ist der einzige Mensch, dem sich die verschlossene und zynische Studentin wirklich öffnen kann und will. Und so ist jede neue Beziehung von Xisco naturgemäß ein besonders herber Schlag für die verzweifelt Verliebte.
Im Affekt begeht sie eine Verzweiflungstat – Selbstmord.
Im Badezimmer erscheint ihr der unkonventionelle Engel Karmen; eine junge Frau im schwarzen Skelettanzug mit rosa Haaren und Sommersprossen um die Nase. Cata begleitet Karmen anschließende auf einer besonderen Reise in die Zwischenwelt. Für die Lebenden unsichtbar wird Cata im Rahmen dieser jenseitigen Erfahrungen mit Egoismus, Selbstmitleid und Selbstaufgabe konfrontiert. Im Angesicht des Todes versteht sie Leben und Liebe ganz neu.
Ein persönliches und intimes Werk
Mit „Karmen“ ist dem spanischen Autor und Zeichner Guillem March („Der Joker 1: Töte den Joker!“) einer der schönsten und besten Comics des bisherigen Jahres gelungen. Es ist eine tragikomische Geschichte mit vielen feinen Zwischentönen und Nuancen, die March erzählt.
Jenseitige Erfahrungen
Mit besonderer Einfühlsamkeit und Hingabe beschäftigt sich der Künstler mit dem schwierigen Thema Selbstmord. Und das auf eine ganz und gar eigenwillige Art und Weise; unabhängig von gewohnten kulturellen, weltanschaulichen und religiösen Prägungen. „Es gibt weder Himmel noch Hölle, und die Sünden sind eure Erfindung.“, so lässt Karmen gegenüber Catalina verlauten. Die Zwischenwelt, in der sich Cata nach ihrem Suizid befindet, meint also nicht etwa das Fegefeuer; auch wenn die junge Frau hier durchaus eine gehörige Läuterung erfährt. Dialoge und zugrunde liegende Jenseits-Konzepte sind maßgeblich im buddhistischen Kontext zu betrachten und überwiegend von der einschlägigen indischen Philosophie geprägt. So geht es vorliegend immer wieder um Wiedergeburt bzw. Reinkarnation. Indessen nicht im Sinne des Übergangs der Seele in eine „andere Welt“, sondern im Sinne der Wiedergeburt in einem neuen Körper, einem neuen Leben. So erschließt sich auch unmittelbar, warum die verwegene Schönheit aus dem Totenreich Karmen mit „K“ und nicht Carmen heißt. Das spirituelle Konzept von „Karma“ spielt hier eine herausragende Rolle.
Ebenezer Catalina
Naheliegenderweise vergleicht Cata ihre Situation mit der der Hauptfigur Ebenezer Scrooge aus „A Christmas Carol“ bzw. „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens. Hier wie dort sieht sich die zentrale Figur der Geschichte mit persönlichen Schwächen und Verfehlungen im Leben konfrontiert. Im Gegensatz zu Scrooge wird Cata allerdings nicht im Traum heimgesucht, sondern macht eine (Nah-)Toderfahrung, gekennzeichnet von außerkörperlichen Erlebnissen.
In den Dialogen zwischen der „Dramaqueen“ Catalina und dem selbstbewusst-frechen Engel Karmen beweist Guillem March ein unglaubliches Gespür für intime, eindringliche und anrührende Einsichten. Seine Figuren zeichnen sich durch eine spürbare Wahrhaftigkeit und feinsinnige Verletzlichkeit aus. So ist die Geschichte vor dem ernsten Hintergrund immer wieder zwar auch lustig, vermag aber insbesondere zu Tränen zu rühren und zum Nachdenken anzuregen.
Zärtlich und verletzlich
Die Intimität, Verletzlich- und Verwundbarkeit seiner Protagonistin akzentuiert March gerade zu Beginn dadurch, dass Cata gezwungen ist, ihren zuständigen Engel nackt auf dieser ganz besonderen Reise zu begleiten. Auf subtile Art und Weise bringt der Künstler hiermit bereits frühzeitig zum Ausdruck, dass sich die zarte junge Frau emotional wird entblößen müssen, um Läuterung und Selbstbesinnung erfahren zu können.
Der persönliche Anstrich des Werks findet sich außerdem in Bezug auf den Schauplatz des Geschehens. Denn der Handlungsort dieser intimen Story ist Palma de Mallorca, die Geburtsstadt von Guillem March. Mit einem überaus liebevollen und vertrauten Blick setzt der begnadete Künstler mit einer unvergleichlichen Akribie und Detailverliebtheit seine Heimat in Szene. Die Illustrationen sind dabei von solcher Eleganz und anmutiger Schönheit, dass man vielerorts erheblich länger als üblich verweilt und immer tiefer in diese Welt eintaucht.
Fazit
Guillem Marchs „Karmen“ ist gleichermaßen intim, berührend und anspruchsvoll sowie spielerisch, humorvoll und voller Tragik. Ein kühner Spagat, der bei solch einem heiklen Themenkomplex wohl kaum einem anderen Künstler geglückt wäre.
Der beste Comic des bisherigen Jahres stammt aus der virtuosen Feder von Guillem March. Hut ab!
Handlung
Von sonderbaren Engeln und den menschlichen Irrpfaden
Dies ist eine Geschichte über Missverständnisse und menschliche Irrungen …
Unter der sonst so strahlenden Sonne von Palma de Mallorca leidet die egozentrische Studentin Catalina an großem Liebeskummer. Sich das Leben zu nehmen, scheint für sie der einzige Ausweg zu sein. In der Stunde ihrer Not steht Catalina eine überirdische Präsenz zur Seite – der außergewöhnliche Engel Karmen: Eine scheinbar junge Frau in einem schwarzen Skelettanzug mit rosa Haaren und frechen Sommersprossen, die ihre Schützlinge mit unvergleichlicher Empathie auf eine ganz besondere Reise führt.
(Quelle: Cross Cult)
Autor
Guillem March
ist ein renommierter Comiczeichner, Illustrator und Autor aus Spanien.
Er begann 2000 seine Karriere im Comic-Business beim dem spanischen Verlag Eros Comix. Sein US-Debüt gab er 2008 bei DC Comics. Hier hat er an vielen großen Titeln, wie „Batman“, „Detective Comics“, „Gotham City Sirens“, „Justice League“ und „Harley Quinn“ mitgewirkt. Guillem hat auch seine eigenen Artbooks und Comics veröffentlicht – darunter „Monika“, „Summer Muse“ und sein ganz eigenes Werk „Karmen“, das bei Cross Cult erscheint.
(Quelle: Cross Cult)
Details
Format: Hardcover
Vö-Datum: 01.03.2022
Seitenzahl: 176
ISBN: 978-3-96658-658-0
Sprache: Deutsch
Verlagshomepage:Â Cross Cult
Copyright Cover: Cross Cult